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Der Tsunami von 2004 und seine FolgenUrsprüngliche Fassung im Dezember 2006, überarbeitet im Dezember 2010
Als ich am 26. Dezember 2004 morgens in den Nachrichten vom Tsunami in Asien gehört habe, bin ich wie versteinert gewesen. Als Physikerin weiß ich, dass Tsunamis Solitonwellen mit enormer Zerstörungskraft sind. Die anfänglich in den Medien erwähnte Zahl von 300 Todesopfern habe ich nicht glauben können, denn ich hatte im Studium gelernt, wie viel Energie ein Beben dieser Art freisetzen würde - und wie stark der damit verbundene Tsunami sein könnte. Mir sind die Bilder aus Kosgoda in den Sinn gekommen und dann ist mir schlagartig bewusst geworden, dass eine meterhohe Welle diesen Strand, "meinen" Strand, an jenem Tag getroffen und verwüstet hatte. Ich bin wie paralysiert gewesen und habe Weihnachten nicht mehr feiern können. Der Gedanke an das Leid in Asien und in Sri Lanka im Speziellen hat mich sehr betroffen gemacht. Die schrecklichen Bilder und Filme in den Medien haben ihr Übriges getan.
Kosgoda - "mein" Strand und die Meeresschildkrötenfarm Kaum war ich 2006 in meinem Hotel in Aluthgama angekommen, habe ich Pläne geschmiedet, was ich in den kommenden Tagen alles unternehmen könnte. Bereits am nächsten Morgen hat es mich nach Kosgoda gezogen, weil ich zu gern noch einmal die dortige Meeresschildkrötenstation besuchen wollte. Sie war durch den Tsunami zerstört und in der Zwischenzeit wieder aufgebaut worden, hatte ich im Internet auf der Webseite "Kosgoda Rebuilding Project" gelesen. Zu gern habe ich mir ein Bild der Situation machen wollen und die entzückenden jungen Schildkröten sehen wollen, die dort umsorgt werden. Ich habe mir also einen netten Tuktukfahrer vor dem Hotel gesucht und mich mit ihm auf den Weg nach Kosgoda gemacht. Je weiter wir von Aluthgama aus in Richtung Süden gefahren sind, desto offensichtlicher ist die Tatsache geworden, dass sich dort vor nicht ganz zwei Jahren eine Katastrophe ereignet hatte. Viele Häuser, die direkt an der Küste gestanden hatten, sind einst sehr schön gewesen. Im Jahr 2006 sind von ihnen nur noch graue Skelette übrig gewesen, die zwischen den Palmen darauf zu warten schienen, endgültig zu zerfallen. Daneben haben vielerorts Holzhütten mit Wellblechdächern gestanden. Behelfshütten dieser Art sind nach wie vor die Behausung vieler Menschen gewesen, die durch den Tsunami etwa zwei Jahre zuvor ihre Häuser sowie ihr Hab und Gut verloren hatten. Diese Erkenntnis, dass die Menschen noch immer in diesen Hütten hausen mussten, hat mich wie ein Schlag getroffen. Nach so langer Zeit noch immer kein gescheites Dach über dem Kopf zu haben, das wäre etwas, was in Deutschland sicher zu massenhaften Protesten führen würde. In Sri Lanka haben die Menschen diese Tatsache einfach hinnehmen müssen, denn woher hätten sie neue Häuser zaubern sollen? Ein Wiederaufbau dieser Größenordnung dauert seine Zeit und die Betroffenen müssen deshalb viel erdulden, das wäre wohl auch in Deutschland nicht anders, ist mir bewusst geworden. Der nächste Schock ist ein paar Kilometer weiter auf mich eingestürzt. Dort, wo einst Palmen zwischen Strand und Straße in den Himmel geragt hatten, befand sich im November 2006 nur noch zierliche Vegetation. Dazwischen lagen Gräber. Ein Grabstein neben dem anderen, dahinter das friedliche, geradezu unwirklich blau schimmernde Meer. Dasselbe Meer, das all diesen Menschen das Leben genommen hat, die hinter dem Strand begraben liegen. Mir ist übel geworden und ich habe auf dem Rücksitz des Tuktuks die Tränen nicht zurückhalten können.
Einige Bretterbuden neben dem neu entstehenden Schulgebäude haben meine Aufmerksamkeit erregt. "Darin wohnen die Leute. Sie haben noch immer keine neuen Häuser", hat der Tuktukfahrer erläutert. Was ist wichtiger, habe ich mich im Stillen gefragt. Wohnhäuser oder eine neue Schule? Was würde man in Deutschland zuerst neu errichten? Eine schwierige Frage, die sich vermutlich nicht so leicht beantworten lässt ... Wir haben schließlich den Strand erreicht und damit die Meeresschildkrötenfarm. Sie hat kaum anders aus als früher ausgesehen. Nach der Zerstörung ist sie genauso wieder hergerichtet worden wie sie vor dem Tsunami gewesen war. Beim Betrachten der Baby-Schildkröten sind die finsteren Gedanken an die Naturgewalt für eine Weile aus meinem Kopf gewichen und ich habe mich an diesen niedlichen kleinen Geschöpfen erfreut, denen in Kosgoda der Start ins Leben erleichtert wird.
Tragische Schicksale allenthalben Egal mit wem ich in Sri Lanka zu tun hatte, immer hat hinter diesen Menschen eine vom Tsunami herbeigeführte private Tragödie gestanden. Auch die Tatsache, dass die Riesenwelle Sri Lanka in der Gunst der Urlauber hat sinken lassen und so zu einem Rückgang der Anzahl der Touristen geführt hatte, hat weiteres Leid hervorgerufen. Es sind diese Einzelschicksale, die mich in Sri Lanka sehr bewegt haben. So hat beispielsweise der Reiseleiter, der meine dreitägige Rundreise begleitet hat, erzählt, seine Schwägerin und ihr Kind sind in den Fluten ums Leben gekommen und sein Bruder trauere nach wie vor um sie. Beim Abendessen hat ein Hotelgast über seinen Besuch bei einer Ayurvedaärztin gesprochen, die er einige Jahre zuvor schon einmal aufgesucht hatte. Seit August hätten sie keine Kunden mehr aus Deutschland besucht, hatte die Frau berichtet. Sie stünde kurz vor dem Konkurs, ihren Goldschmuck habe sie schon vor einiger Zeit versetzt, um sich weiterhin finanzieren zu können. Das Geld sei nun aber aufgebraucht, weil keine Kunden kämen und sie wisse nicht mehr weiter, hatte ihm die Frau ihr Leid geklagt. Ein Touristenpaar aus meinem Hotel hat von einem Tuktukfahrer berichtet, der mangels Touristen zu wenig Einkommen hatte, um die Raten für sein Gefährt bei der Bank bezahlen zu können. Die Pfändung hat unmittelbar bevor gestanden und somit auch sein berufliches Aus. Fairerweise sei jedoch noch erwähnt, dass nicht nur der Tsunami für das Ausbleiben der Besucher verantwortlich gewesen ist. Ein Teil der Reisenden ist sicher durch das damalige erneute Aufflammen des Konfliktes zwischen den Tamilen und Singhalesen von einem Besuch Sri Lankas abgehalten worden. Beide Effekte haben sich summiert und sind fatal für die Menschen gewesen, die unmittelbar vom Geschäft mit den Touristen gelebt haben. Viele dieser Sri-Lanker hatten nahezu keine andere Möglichkeit, Geld zu verdienen. Herr Kumara erinnert sich Natürlich ist sie da gewesen, die Neugier darauf, wie die Menschen die Riesenwelle erlebt haben. Ich gehöre aber nicht zu den Zeitgenossen, die schamlos nachfragen und mit bohrenden Fragen in die Privatsphäre Anderer eindringen. Niemals hätte ich von mir aus Einheimische darauf angesprochen, wie sie den Tsunami erlebt haben. Seelische Wunden aufzureißen oder die Menschen mit meinen Fragen ganz einfach zu nerven, ist nicht meine Absicht gewesen - dann doch lieber still beobachten, ist meine Devise gewesen. Ich habe vermutet, es würden sehr viele Urlauber ständig dieselben Fragen stellen, was für die Sri-Lanker sicher nicht angenehm sein würde. Zu meinem Erstaunen ist dem aber nicht so gewesen, denn einerseits sind seit einiger Zeit die Urlauber ausgeblieben und andererseits scheint das Taktgefühl vieler Urlauber größer zu sein als ihre Neugier. Die meisten Touristen haben sich mit Fragen zurückgehalten. Oder aber sie sie haben sich nicht nach dem Erlebten erkundigt, weil sie gleichgültig gewesen sind, was ich nicht hoffe. Denn wer nach Sri Lanka reist, sollte sich meiner Meinung nach durchaus dessen bewusst sein, wo er seinen Urlaub verbringt, nämlich in einem Land, das von einer sehr schweren Naturkatastrophe heimgesucht worden ist. Ich habe während meines Urlaubs im November 2006 eines Tages beim Nachmittagstee im Garten des Hotels gesessen, das hoffnungslos unterbelegt gewesen ist. Außer mir hat lediglich ein einziger weiterer Tourist auf der weitläufigen Terrasse gesessen und seinen Tee genossen. Herr Kumara, einer der netten Kellner, ist zu mir gekommen und er hat mich gefragt, ob ich noch ein wenig Tee trinken möchte. Wir haben miteinander zu plaudern begonnen, denn er hatte wenig zu tun. Irgendwie hat ein Wort das andere ergeben und plötzlich hat er von sich aus damit angefangen zu erzählen, wie er jenen Tag in Aluthgama erlebt hatte. Er hat sich damit einverstanden erklärt, dass ich seine Erlebnisse an dieser Stelle schildere. "Es war gerade Mittag und das Hotel war ziemlich voll, wir hatten 150 Gäste - international und aus Sri Lanka. Dann ging plötzlich das Meer zurück. Einen Kilometer weit ging es zurück! Wir waren alle erstaunt und gingen zum Strand, liefen dem Wasser hinterher. Wir wussten ja nicht, was bald kommen würde. Heute weiß das jeder, es gibt sogar Info-Plakate mit Warnhinweisen und Fotos vom zurückgewichenen Meer. Jetzt wissen wir alle Bescheid, jetzt sind wir gewarnt.
Die vierte und letzte Welle traf uns besonders stark. Sie war zwei Meter hoch und durchschlug die Fensterscheiben der unteren Etage. Alles war geflutet. Von oben schauten wir entsetzt zu, das Wasser war direkt unter uns. Im Fluss hinter dem Hotel türmte sich die Welle noch höher auf, sie war drei Meter hoch und traf dann auf das Land gegenüber.
20 Kilometer südlich bei Ambalangoda traf die Welle einen Zug. Es ertranken viele Menschen. Sie hatten keine Chance. Südlich von hier und vor allem im Osten der Insel war es sehr schlimm. Viele Tote, alles zerstört. Wir hatten hier noch Glück, weil wir nur seitlich vom Tsunami getroffen wurden und nicht direkt." Während der Mann seine Erlebnisse geschildert hat, ist seine Aufregung merklich gewachsen. Seine Gesten sind größer und hektischer geworden, seine Augen haben sich geweitet. Auch fast zwei Jahre nach den Geschehnissen hat ihm der Schrecken noch deutlich ins Gesicht geschrieben gestanden. Kein Wunder, denn wer eine solche verheerende Naturkatastrophe er- und vor allem überlebt hat, wird die grauenvollen Bilder wohl nie mehr vergessen. Das Hotel Ceysands und die Menschen darin hatten wirklich Glück. Zwar hat man sie mit einem Helikopter evakuieren müssen, weil der Standort auf der Bentota-Halbinsel während der Überflutung keine andere Möglichkeit zugelassen hat. Trotzdem hat es abgesehen von Schnittverletzungen bei einigen Menschen am Gebäude selbst nur Sachschaden gegeben, der sich beheben lassen hat, ohne dass das Hotel komplett abgerissen und neu gebaut werden musste. Wie der Tsunami das Gesicht der Bentota-Halbinsel verändert hat
"Dort hinten ist ein schöner buddhistischer Tempel auf der Insel, den sollten Sie sich ansehen." - Diesen Rat eines Hotelangestellten habe ich gern befolgt und am frühen Morgen bin ich zur Spitze der Bentota-Halbinsel gelaufen. Der Strand ist an jenem Tag im November 2006 malerisch schön gewesen und in der Ferne hat eine mit dichtem Grün überwucherte Hügelkuppe am Ende der Halbinsel empor geragt. Davor haben einige rund geschliffene Felsen im Meer gelegen. Das Bild ist idyllisch gewesen, aber ich habe beim besten Willen keine Insel gesehen. So klein konnte sie doch gar nicht sein, dass ich sie aus einer Entfernung von weniger als einem Kilometer nicht sehen konnte, habe ich mir damals gedacht. Oder würde ich sie hinter diesem Hügel finden? Ich bin weiter gelaufen und habe mich darauf verlassen, diese Tempelinsel ganz sicher zu finden.
Dankbarkeit und wie sie gezeigt wird
Sri-Lanker: "Hallo, sind Sie aus Deutschland?" Bei Dankesbekundungen dieser Art ist mir von wildfremden Menschen die Hand geschüttelt worden oder ich bin gar ganz spontan herzlich in den Arm genommen worden. Die Leute haben sich wieder und wieder verbeugt. Vermutlich ist es ein typisch deutscher Charakterzug, der sich in mir widergespiegelt hat, als ich verlegen vor diesen Menschen gestanden habe und als Antwort nur verschüchtert lächeln konnte. Diese echte, tief empfundene Dankbarkeit der Menschen ist bewegend und überwältigend gewesen, wobei ich ehrlich gesagt niemals damit gerechnet hätte, dass selbst Fremde sie auf diese Weise zum Ausdruck bringen würden. Eines weiß ich ganz genau: Hätte ich nach dem Tsunami selbst kein Geld gespendet, wäre ich angesichts dieser Dankbarkeit der Sri-Lanker vermutlich vor Scham tot umgefallen... So habe ich mir wenigstens sagen können, dass sie mir ja nicht unberechtigterweise gedankt haben. Aber es hat sich trotzdem merkwürdig angefühlt. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass plötzlich die Empfänger anonymer Spenden leibhaftig vor mir stehen und somit gewissermaßen ein Gesicht bekommen. Dies ist einer jener Aspekte gewesen, auf die ich vor meiner Reise in keiner Weise vorbereitet gewesen bin. Aber es hat ungemein gut getan zu sehen, dass mit dem gespendeten Geld bereits zahllosen bedürftigen Menschen geholfen worden ist, obwohl im November 2006 offenkundig gewesen ist, dass nach wie vor eine Menge Arbeit angestanden hat. Neuaufbau im Hinterland von Wadduwa
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